Bei Erster Hilfe kommt es auf jede Minute an

Kiel – Es passiert schnell und unvermittelt: Ein Kind blutet nach einem Unfall, ein Erwachsener kippt einfach um, jemand erleidet einen Herzinfarkt an seinem Schreibtisch.

Die Umstehenden sind entsetzt – und meist auch wie gelähmt. Dabei ist keine Zeit zu verlieren. «Es kommt auf jede Minute an», sagt Kersten Enke. Der Diplom-Gesundheitslehrer ist Leiter des Bildungsinstituts Hannover der Johanniter-Akademie.

Viele fürchten, etwas falsch zu machen – und verständigen allenfalls über die Nummer 112 den Rettungsdienst. Doch das ist nicht genug. «Umstehende müssen sehr schnell
Erste Hilfe leisten», betont Jan-Thorsten Gräsner. Der Arzt ist Direktor des Instituts für Rettungs- und Notfallmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel.

Ist jemand zusammengebrochen und liegt am Boden, spricht der Helfer den Patienten als erstes laut an: «Hörst Du/Hören Sie mich?» Reagiert die Person weder darauf noch auf ein leichtes Schütteln an der Schulter, sollte der Ersthelfer auf die Atmung des Bewusstlosen hören. Ist die Atmung unregelmäßig oder schnappt der Betroffene nach Luft, könnte das auf einen Herzstillstand hindeuten, erklärt Prof. Peter Sefrin. Er ist Facharzt für Anästhesiologie und Leitender Notarzt in Würzburg. Als nächstes sollte man per Telefon über die Nummer 112 den Rettungsdienst holen. «Wichtig ist eine möglichst präzise Beschreibung des Notfalls, damit bei Bedarf zusätzlich zum Rettungswagen auch ein Notarzt losgeschickt wird», betont Enke. Dieses Telefonat muss nicht der Helfer führen, er kann es auch an eine andere Person delegieren.

Der
Ersthelfer selbst beginnt so schnell wie möglich mit einer Herzdruckmassage. «Mit jeder Minute ohne Herzdruckmassage sinkt die Überlebenswahrscheinlichkeit um zehn Prozent», sagt Sefrin. Als erstes wird der Betroffene dafür auf den Rücken gelegt. Anschließend öffnet man die Kleidung über dem Brustkorb. Auf die Mitte der Brust legt der Helfer den Ballen seiner Hand, darauf wird der Ballen der anderen Hand platziert. Der Helfer verschränkt seine Finger, hält die Arme gerade und schiebt seine Schultern senkrecht über den Druckpunkt. Das Brustbein wird dann fünf bis sechs Zentimeter so heftig wie möglich nach unten gedrückt – und zwar 100 bis 120 Mal pro Minute. Dabei kann es helfen, leise den Song «Stayin Alive» von den Bee Gees zu singen und sich an dem Rhythmus zu orientieren. Das Lied hat nämlich etwa 100 Beats pro Minute. Die Herzdruckmassage sollte ununterbrochen fortgesetzt werden, bis der Rettungsdienst eingetroffen ist und hilft – auch wenn bis dahin einige Zeit vergeht.

Zusätzlich zur Herzdruckmassage ist eigentlich auch eine Mund-zu-Mund-Beatmung sinnvoll. «Das sollte man aber nur machen, wenn man trainiert ist und imstande ist zu beatmen», sagt Enke. Das Wichtigste ist die Herzmassage.

Auch bei Verdacht auf einen Herzinfarkt kommt es auf schnelle Erste Hilfe an. Hinweise auf einen Herzinfarkt sind starke Schmerzen hinter dem Brustbein, Engegefühl im Brustkorb, Atemnot und Übelkeit. In diesem Fall ruft man am besten zuerst die 112 an, sagt Enke. Atmet der Betroffene nicht normal, beginnt der Helfer mit einer Herzdruckmassage. Ist der Patient bei Bewusstsein, sollte er von einengender Kleidung befreit und mit etwas erhöhtem Oberkörper gelagert werden. Grundsätzlich muss ein Ersthelfer darauf achten, dass die Person nicht friert – und ihn oder sie im Zweifelsfall zudecken. Auch beruhigende und tröstende Worte können helfen, betont Enke: «Psychischer Beistand ist nicht zu unterschätzen.»

Auch wenn ein Mensch stark blutet, ist das ein Notfall. Wird eine Blutung nicht richtig behandelt, kann dies lebensgefährlich sein. Lässt sich die Blutung nicht stillen, sollte man über die Nummer 112 Hilfe holen. Blutet jemand stark aus der Nase, beugt der Betroffene den Kopf am besten leicht vornüber und drückt mit Daumen und Zeigefinger die Nasenflügel zusammen. Der Ersthelfer legt dem Patienten derweil einen kalten Umschlag in den Nacken. «Bei Blutungen an Kopf, Rumpf, Armen und Beinen sollte der Helfer im Idealfall einen Druckverband aus der Hausapotheke oder aus dem Pkw-Verbandkasten anlegen», sagt Sefrin, der auch ist Bundesarzt des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) ist.

Wer als Verkehrsteilnehmer auf der Autobahn vor sich einen Unfall sieht, sollte nicht in Panik geraten. «Bevor man hilft, gilt es in erster Linie an die eigene Sicherheit zu denken», erklärt Gräsner, der Mitglied im Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) ist. Das heißt: Auto an den Seitenstreifen stellen, Warnblinkanlage einschalten, die Warnweste anziehen, Warndreieck etwa 200 Meter hinter dem eigenen Auto aufstellen, die Unfallstelle absichern, die Polizei (110) sowie den Rettungsdienst (112) anrufen. Zeugen eines Unfalls sind allerdings auch verpflichtet, Erste Hilfe zu leisten. «Jeder sollte seine Kenntnisse deshalb regelmäßig auffrischen – am besten alle zwei, spätestens aber alle fünf Jahre», erklärt Sefrin.

Fotocredits: Frank Schemmann,Frank Schemmann,Frank Schemmann,Johanniter
(dpa/tmn)

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