Zurück ins Leben nach der Krebserkrankung

Bad Belzig – Überleben. Besiegen. Hinter sich bringen. Solche Worte benutzen die Menschen, wenn es um Krebs geht. Sie suggerieren, dass es vorbei ist, wenn man es «geschafft hat» – dass nichts oder kaum etwas zurückbleibt von der Krankheit.

Die Realität aber sieht häufig anders aus. «Wir sehen Krebs heute als chronische Erkrankung», sagt die Allgemeinmedizinerin Prof. Stefanie Joos von der Deutschen Krebshilfe. Einerseits werden mehr Menschen den Krebs erstmal wieder los. Andererseits verändert sie die Krankheit – manchmal für immer.

«Ich hätte damals nie gedacht, dass mich das jetzt noch beschäftigen würde», sagt Uta Büchner. Sie erkrankte vor 22 Jahren an Krebs. Noch immerr spürt sie Einschränkungen: Sie überkommt wie viele andere ehemalige Krebspatienten eine bleierne Müdigkeit, die sogenannte Fatigue. Sie hat Augenmigräne, Probleme mit ihren Gelenken und der Wirbelsäule. Noch immer geht sie jedes Jahr zur Mammografie – immer dabei die Angst, dass der Brustkrebs zurück sein könnte. «Das hört nie auf», sagt die 57-Jährige.

Langzeitfolgen gibt es Joos zufolge auf drei Ebenen: der psychischen, der biologischen und der sozialen. Operationen und andere Therapien haben starke Nebenwirkungen und können langfristig Schaden anrichten. «Manche Frauen kommen zum Beispiel vorzeitig in die Wechseljahre», sagt Susanne Weg-Remers, Leiterin des Krebsinformationsdienstes. Andere Patienten behalten etwa Nervenschäden zurück.

Zu Beginn einer Therapie steht das Überleben des Patienten im Mittelpunkt. Doch es lohnt sich, von Anfang an über mögliche Spätfolgen zu sprechen. «Die chronische Müdigkeit beispielsweise tritt sehr viel seltener auf, wenn sich die Patienten schon während der Chemotherapie unter Anleitung regelmäßig bewegen», sagt Joos.

Auf die Psyche schlägt eine Krebserkrankung in allen Phasen, sagt Joos: direkt nach der Diagnose, während der Therapie und auch später, bei der Frage, ob die Krankheit zurückkommt. Büchner hätte sich mehr Unterstützung gewünscht. «Ich bekam damals einfach nur gesagt: „Wir nehmen morgen ihre Brust ab“.» Mit dem, was das für sie bedeutete, fühlte sie sich völlig alleingelassen. Das habe Spuren hinterlassen.

Die psychosoziale Seite der Krebserkrankung werde zu Anfang häufig vernachlässigt, sagt Joos. Sie ermutigt Patienten, sich gleich Hilfe zu suchen. Beratungsstellen gibt es bei der Deutschen Krebshilfe, beim Krebsinformationsdienst oder der Deutschen Krebsgesellschaft.

Büchner stellte sich nach der Operation und Chemotherapie auch eine Reihe praktischer Fragen. Nach maximal 78 Wochen zahlt die Krankenkasse kein Krankengeld mehr. Arbeiten konnte die dreifache Mutter zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Idealerweise gibt es laut Weg-Remers in der Reha nicht nur medizinische und psychologische Hilfe, sondern auch eine sozialmedizinische Beratung, in der praktische Fragen geklärt werden: Kann ich irgendwann wieder in meinem Job arbeiten? Muss ich umschulen? 

Büchners Mann machte sie schließlich auf eine örtliche Selbsthilfegruppe aufmerksam. «Erst war ich skeptisch», gibt sie zu. Doch: «Die Leute dort waren gar nicht deprimiert und haben die ganze Zeit von ihren Leiden erzählt wie befürchtet. Sie waren fröhlich und haben gelacht.» Das habe ihr unheimlich gutgetan.

Heute leitet Büchner die Ortsgruppe in Bad Belzig bei Berlin, die mittlerweile zur Frauenselbsthilfe nach Krebs gehört. Sie organisiert Ausflüge, Sportgruppen, Fachvorträge. Es helfe nicht, die Folgen der Erkrankung zu ignorieren. Stattdessen müssten Patienten ihr Leben selbst wieder in die Hand nehmen und sich Hilfe suchen. Und dann gibt es auch noch die Hausärzte. «Sie spielen eine entscheidende Rolle, wenn die Patienten aus dem Krebszentrum entlassen werden», sagt Joos.

Bisher konzentriere sich die Nachsorge auf die Früherkennung von Rezidiven – also neuen Tumoren oder Tochtergeschwüren. «Das ist gut und wichtig, aber nicht alles», sagt Joos. Analog zum amerikanischen System, wo «Survivorship-Programme» biopsychosozial aufgestellt sind, gebe es auch in Deutschland immer mehr ganzheitlichere Nachsorge.

Uta Büchner beschäftigte manches auch Jahre später – etwa ihre verlorene Brust. «15 Jahre lang fühlte ich mich unvollkommen.» Dann erst fand sie über die Frauenselbsthilfe eine überzeugende Methode, durch eine OP die Brust aufzubauen. Der Operateur bat sie nach dem Eingriff um ihre Hand und legte diese auf die «neue» Brust. «Diesen Moment», sagt Büchner, «den vergesse ich nie in meinem Leben.»

Fotocredits: Klaus-Dietmar Gabbert
(dpa/tmn)

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